
Die Weltwoche
Von Christian Seiler – Unter den kulinarischen Perversionen der Schweizer ist mit Sicherheit die perverseste das Fondue, und angesichts der obligatorischen Portionen Apfelmus zu den Hörnli mit Gehacktem will das was heissen. Schon gut, ein paar Leser laufen jetzt rot vor Wut an und rufen exorzistisch „Figugegl“. Sie zitieren damit, wenn ich mich nicht irre, den Schriftsteller Martin Suter, als der sich noch als Werber verdingte. Wenn nicht Suter den kryptischen Spruch erfand, dann war es ein Texter, der sein zwiespältiges Verhältnis zur besagten Speise virtuos in krächzende Verzweiflung umwandelte. „Figugegl“ heisst: „Fondue isch guet und git e guete Luune“. Gibt es ein irreführenderes Akronym?
Fondue muss aus mehreren Gründen als Perversion betrachtet werden. Kein auch nur oberflächlich an der eigenen Gesundheit interessierter Mensch würde Speisen zu sich nehmen, die bereits mit dem Antitoxikum(=dem klaren Schnaps, den man nach der Mahlzeit braucht, um den beklemmende Druck auf der Brust loszuwerden) zubereitet sind.; niemand, der sich das Volumen an geschmolzenem Käse, der im Caquelon vor sich hin blubbert, als Festmasse vorstellen kann, würde diese Menge an purem Fett jemals am Stück zu sich nehmen – samt Brot und Kartoffeln; und schon gar niemand, der Respekt vor den eigenen vier Wänden und vor den Menschen, die diese mit ihm teilen, besitzt, wird den Fondue-Flammenwerfer zu Hause in Betrieb nehmen.
Schreien Sie nicht so. Ich meine es gut mit Ihnen. Wenn Sie tatsächlich glauben, dass man Fondue aus folkloristischen Gründen einmal pro Jahr verzehren muss, dann befleissigen Sie sich wenigstens einer Technik für Fortgeschrittene. Fahren Sie mit dem Auto in den Westen Zürichs – eine geeignetere Adresse als die „Chässtube Rehalp“ werden Sie nämlich nicht einmal am Rand des Röstigrabens finden. Ziehen Sie sich im Auto ein letztes Mal die Kleider an, die für den Altkleidercontainer bestimmt waren, und huschen Sie ohne Mantel ins Lokal.
Essen Sie so viel Fondue, wie Sie wollen, Sie lassen sich ja ohnehin nicht belehren. Trinken Sie wenigstens keinen Fendant dazu, sondern einen Weissen aus dem Friaul – der Patron verfügt über Reserven aus dem Hause Jermann. Aber vergessen Sie nie, was passieren kann, wenn man zu viel Fondue-Aroma erwischt. Ein mir bekannter Fondue-Koch quittierte von heute auf morgen seinen Dienst. Er wurde Fischhändler.